Knochenhaus

[helferlein]

Aufgewacht
Ein neuer Tag.
Die Sonne stand schwarz am Himmel.

„Gestern war sie noch blau“ sprach er höhnisch zu seinem Spiegel. Sein Spiegelbild antwortete leicht zeitverzögert.
Solche Dinge war er gewohnt.
Der verschimmelte Apfel, den er täglich aß, schmeckte undefinierbar. Er war ein wenig traurig über den Zustand des Apfels, hatte der von letzter Woche zumindest noch wie ein Apfel geschmeckt.
„Meine Äpfel haben auch schon mal besser geschmeckt“ murrte er.
Der Apfel antwortete nicht – diesmal nicht.
Er ging zum Schrank um eine Hose anzuziehen. Beiläufig stellte er fest, das er heute zwar nur drei Beine hatte, sie aber wenigstens alle gleichlang waren.
Er verzichtete darauf, sich heute die Zähne zu putzen, bereitete es ihm das pelzige Gefühl in seinem Mund ein gewisses Wohlbehagen. Wer weiß wie lang es anhielt.
Der Gang zum Spiegelkabinett war eine kleine Herausforderung, war der Lichtspendende Schatten hier auf der Ebene doch recht rar.
Glücklicherweise wuchsen heute Blumen.
Es fiel im leicht, auf dem Bauch liegend durchs Gras zu schweben.
Darauf war schon seine Mutter stolz.
„Und ich hab dich nicht enttäuscht, nicht wahr Mutter?“
„Ich mag es nicht, wenn du rhetorische Fragen stellst“sprach eine schwarze Blume die den Umriss einer Sonnenblume hatte.
Er war schon ein wenig enttäuscht: „Wenigstens ein Gesicht hättest du machen können!“
„Du bist tot!“ rief sie und ihr Schatten glich einer hellgelben Tulpe.
„Ich bin nicht tot, ich gehe ins Spiegelkabinett“ entgegnete er trotzig.
Wie zur Bestätigung Stand er davor.
Er wusste nicht wie er dort hin gelangt ist, musste wohl ein Aussetzer gewesen sein.
Als er es betrat waren sie alle wieder da, seine Freunde.
Aber er kam nicht so recht in Redestimmung, lagen ihm die Worte seiner Mutter, er sei schon tot, schwer im Bauch, was ihn nicht recht wunderte, wurde ihm doch immer schlecht, wenn er Äpfel und Tulpen aß.
„Wird ein kurzes Gespräch heute, meine Freunde, ich bin nicht so recht in Stimmung“ - aber sie waren bereits verschwunden.
Die Stimmen, die an sein Ohr drangen irritierten ihn: „Eins zwei drei – eins zwei drei hab ich“
Dennoch tat er sie ab.
„Wird schon nichts sein“ sprach er, um seinem Gedanken Worte zu verleihen, vergaß jedoch, die Lippen zu bewegen, was nicht störte, da er ohnehin alleine war.
Irgendetwas war heute anders. Er erinnerte sich, wusste jedoch nicht, woran.

Aufgewacht
Ein neuer Tag
Die Sonne stand schwarz am Himmel.

Etwas war anders.
„Gestern war sie noch blau“ sprach er höhnisch zu seinem Spiegel. Sein Spiegelbild antwortete leicht zeitverzögert.
Irgendetwas, aber er kam nicht drauf.
Dann dämmerte es ihm, langsam aber mit stetiger Gewissheit.
Noch traute er sich nicht, es auszusprechen. Lieber abwarten.
Er schwebte durchs Gras an seiner Mutter vorbei, zum Spiegelkabinett wo die Stimmen bis drei zählten.

Aufgewacht
Ein neuer Tag
Die Sonne stand schwarz am Himmel

Jetzt wusste er es.
„Gestern war sie noch blau“ brach es unvermittelt aus ihm heraus, obwohl er es nicht sagen wollte.
Es ängstigte ihn.
Die Mutter, das Kabinett, die Stimmen.

Aufgewacht
Ein neuer Tag
Die Sonne stand schwarz am Himmel

Er hatte große Angst

Aufgewacht
Ein neuer Tag
Die Sonne stand schwarz am Himmel

Die Angst begann, ihn aufzufressen

Aufgewacht
Ein neuer Tag
Die Sonne stand schwarz am Himmel

Es war wie ein jucken in seinem Kopf, gegen das kein kratzen half.
Er war verzweifelt.
Wie oft schon?

Aufgewacht

Aufgewacht

Aufgewacht

Aufgewacht

Aufgewacht

Aufgewacht

Aufgewacht

Alles in seinem Kopf, wich der Angst. Er war die Angst. Er trug die Essenz der Angst in sich. Sie höhlte ihn aus, wie steter Tropfen den Stein. Er wusste nun, dass er tot war, doch es hatte keine Bedeutung mehr für ihn.

Aufgewacht
Etwas war anders
Die Spiegel waren zerbrochen.
Hoffnung keimte in ihm auf. Es müssen Ewigkeiten vergangen sein, seit er sie zuletzt gespürt.
Doch dort lag sie, tausendfach vor ihm ausgebreitet. Die Erlösung.
Er griff danach.
Der Schmerz war eine willkommene Erinnerung, doch nicht von langer Dauer.
Er begann zu frösteln.
In der letzten Sekunde fühlte er alle Angst, alle Erinnerung von sich fallen.
„Endlich frei“ sprach er und seine Lippen bewegten sich.

Aufgewacht
Ein neuer Tag.
Die Sonne steht schwarz am Himmel.




Ich freu mich über Reaktionen
mfg
helferlein

[Dead Man]

Gefällt mir unheimlich gut, nur der letzte Absatz nicht.

[Ruinfea]

He, die ist ja toll! *Daumis hoch*

Aber was muss man rauchen, um sowas zu schreiben?

[helferlein]

@Dead Man: Nicht gefallen im Sinne von "Ich hätt mir ein Happy End gewünscht" oder im Sinne von "Des is zu kitschig und berechnend".
Bei letzterem: Mag schon sein, aber der schöne Tempuswechsel... der wars auf jedenfall wert
@Ruinfea: Nichts dergleichen... sollt ich mir Sorgen machen?

[Nibelheim]

helferlein, ich finde die Geschichte um die schwarze Sonne hervorragend !! Ich finde im Gegensatz zu Ruinfea allerdings nicht, hilfreiche (??) Dämpfe oder ähnliches in Anspruch nehmen zu müssen. Nachdenken genügt. Und das Gedachte entsprechend schriftlich festhalten. Gelingt nicht immer und schon garnicht jedem, aber es ist möglich. Gern mehr davon !!

[dieKleineVonNebenan]

da sieht mans mal wieder, kaum kommentiert es einer, lesen es alle... (ich nicht ausgeschlossen)

ich finde es gut, nur mit dem ende bin ich etwas unzufrieden...

[Dead Man]

[dieKleineVonNebenan]

dann mach doch den anfang

[helferlein]

@dead man:
axo, so war das gemeint.
Ja das stimmt natürlich, den "es ist noch nicht vorbei" - Effekt hab ich nicht erfunden ^^
Allerdings tut die Sache, das sowas auch in Horrorfilmen von der Stange vorkommt, keinen Abruch daran es gut zu finden und auch zu verwenden. Ich finde, das etwas nicht gleich schlechter wird wenns oft benutzt wird.
Und das Rad neu zu erfinden, den Anspruch habich nicht
Soviel zu meiner Rechtfertigung

mfg
helferlein

[Dead Man]

@Die Kleine von Nebenan: Hab ich schon mehrfach getan. Allerdings möchte ich nicht überall meinen teils unsinnigen Senf dazu geben.

@Helferlein: Rechtfertigen musst Du Dich gar nicht. Ist immerhin Deine Geschichte und dass mir der Schluss nicht gefällt heißt nicht, dass er schlecht ist.

[dieKleineVonNebenan]

@ Dead Man: ich bin überzeugt, dass alle es gern lesen...