sonnenkind Alter Knochen
Anmeldungsdatum: 02.02.2005 Beiträge: 142 6.511 Worte gesamt Wohnort: Karlsruhe
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Verfasst am: 19 Feb 2005 15:12 Titel: Vierzig Gramm Liebe. Getrocknet. |
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Vierzig Gramm Liebe. Getrocknet.
Der Morgen fällt ihr schwer. Er beginnt Stunden vor dem Aufstehen mit dem Lärm der Familien jenseits der Wände. Manchmal reißt sie im Schlaf die Augen auf und starrt ihre Träume an.
Es riecht nach Frühstücksei, vielleicht nach frischen Blumen, wenn das Fenster offen ist.
Wenn sie aufwacht, wartet niemand auf sie. Der Raum ist kalt. Das Bett auch, nichts hält sie dort.
Den Blick in den Spiegel erspart sie sich. Sie ist müde geworden, jeden Morgen in dasselbe Gesicht zu sehen. Toast schmeckt nicht, macht aber satt.
Mit einer roten Gießkanne füllt sie Wasser in eine Vase. Sie ist Leer.
Wenn sie so gleichgültig wäre wie die Welt, wäre es einfacher, denkt sie manchmal. Aber sie ist es nicht. Sie geht ins Schlafzimmer zurück und setzt sich aufs Bett. Wenigstens weich ist es.
Es ist schon Monate her, dass sie den grauen Mann fortgeschickt hatte. Sie meinte da, es würde besser sein und dass sie ihre Freiheit bräuchte. Nun schnürt sie ihr die Brust zu.
Sie kriecht unter die Decke zurück, denkt ihn sich dazu. Er war nichts Besonderes mit seinen grauen Hemden, aber er hat auf sie gewartet am Morgen. So nichts sagend war sein Gesicht, seine Gesten, aber warm. Wie alle ihre Männer. Vielleicht wie alle Menschen. Nein, ihr ist nicht warm.
Eine Weile bleibt sie liegen. Durchs Fenster fällt gefiltertes Licht. Ab und an ein Sonnenstrahl. Heuchler, denkt sie.
Sie führt eine Hand unter den Bettkasten, tastet am Boden entlang und greift etwas. Legt es neben sich. Eine Schachtel.
Sie legt ihr Gesicht daran, die Nasenflügel blähen sich etwas auf. Nichts. Sie riecht ein zweites Mal daran. Nichts?, nimmt den Deckel ab, fährt mit den Fingerspitzen hinein. Lächelt.
Sie findet, wonach sie eben suchte. Den süßen Duft von Nektar und Verwesung. Sie lacht. Lacht unglaubwürdig. Ich bin ein Verweser.
Sie greift die Schachtel wieder, richtet sich auf und lehnt sich an die Heizung, dreht sie auf.
Es ist kalt. Dann langt sie mit zwei Fingern in die Schachtel. Rosenblätter. Unzählig viele Rosenblätter. Nein. Vierzig Gramm. Die meisten rötlich, andere waren einmal weiß.
Jemand hat sie ihr geschenkt. Nicht nur einer. Der graue Mann auch, jeder graue Mann. Sie war ja schön! Je mehr sie sich selbst in den Liebeswahn stürzte, umso öfter standen in der Vase diese Blumen. Sie hasste es, sie wegzuschmeißen. Ließ sie noch Wochen im Wasser stehen, wenn sie welk waren. Immer roch es nach süßer Fäulnis, wenn ein neuer Mann die Zimmer betrat. Dann sagte er, sie sei schön, lächelte wehmütig und tat das Ritual der Heuchler. Brachte Rosen Mit. Wurde grau.
Immer, wenn neue Blumen kamen, musste sie die alten wegschmeißen. Sie hasste sie dafür. Nahm sanft die Köpfe der Rosen ab, legte sie in die Schachtel.
Die Männer ahnten nicht, dass sie unterm Bett lagen und warteten, wenn immer sie das Ritual durchführten.
Sie lacht leise. Ich bin ein Verweser. Nimmt Blätter aus der Schachtel, hält sie sich ans Gesicht. Ihr Duft steigert ihren Wahn.
Bald steckt sie sich Rosenblätter ins Haar, zieht sich aus, um mehr zu fühlen. Legt sie sich auf Schultern und Brüste, dreht sich, dreht sich immer weiter, wirft sie in die Luft.
Für einen Moment ist der Raum rot, rund, warm.
Jetzt sieht sie sich im Spiegel. Wie schön sie ist. So rot.
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